Das Lehrerzimmer: «Ja, der Mensch muss Kapitalist sein.»

Eine Vortragsreihe der Biennale Bern in Kooperation mit der Hochschule der Künste* sowie der Universität Bern**

Der «Mensch muss Kapitalist sein» - es war der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882), der derart entschieden aufforderte, Kapitalist zu sein. Und er war nicht der Erste und nicht der Einzige, der den Kapitalismus in einem nicht materiellen Sinne verstand. Emerson ging es um die geistige Entfaltung des Menschen, um die Entwicklung seines inneren Reichtums.

Kapital ist, nicht erst seit Karl Marx, ein schillernder Begriff. Die Vortragsreihe zur Biennale Bern greift, ausgehend vom Kapitalbegriff bei Marx, einige der nicht monetären Kapitalarten wie Wissenskapital, symbolisches Kapital oder Abstammungskapital auf und beleuchtet sie in sechs Kurzvorträgen. Den halbstündigen Referaten folgt jeweils ein vertiefendes Gespräch sowie eine Publikumsdiskussion.

7. September

Christoph Henning, Philosoph
Das Marx'sche Kapital: Ursprünge eines Grundbegriffs der modernen Wirtschaftstheorie
Mehrere tausend Seiten umfasst Das Kapital von Karl Marx, der mit dieser «Kritik der politischen Ökonomie» die später Kapitalismus genannte Wirtschaftsform scharf verurteilte. Doch was heisst Kapital eigentlich bei Marx? Definitionen wie «Geld heckendes Geld» oder «automatisches Subjekt» sind selten so zu verstehen, wie sie zunächst auftreten. Der Vortrag wird zuerst die Spannbreite von Bedeutungen des Kapitals bei Marx darlegen und diesen Begriff dann kritisch von anderen, späteren Verwendungen des Kapitalbegriffs abgrenzen. Als wichtigster Unterschied tritt dabei heraus, dass der Begriff bei Marx ein wesentlich kritischer ist: Kapital muss zwar sein, es soll aber nicht über uns herrschen; es kann immer nur Mittel sein; deshalb soll es aufhören, uns Zwecke zu setzen.

8. September
Simona Slanicka, Historikerin
Illegitimität als Kapital: Die Figur des Bastards im vormodernen Adel
Bastarde galten im vormodernen europäischen Adel als eigenständige Personengruppe mit eigenen Rechten und Aufgaben. An den ihnen zugeschriebenen körperlichen, intellektuellen und moralischen Qualitäten lässt sich die Vorstellung vom genealogischen Kapital des vormodernen Adels ablesen. Bastarde im Italien der Renaissance sind etwa Träger der virtù, einer männlichen, handlungsmächtigen Tugend, die ihnen Gesetzesüberschreitungen, Usurpationen, aber auch Herrschaftsinnovation erlaubt. Bastarde sind damit emblematische Figuren für die Lust am Risiko, am Spiel, an der Spekulation und zur Rechtfertigung illegitimen Gewinnstrebens.


10. September
Aymo Brunetti, Volkswirtschaftler
Rohstoff Wissen: Das wichtigste Kapital
In der Steinzeit gab es im Wesentlichen gleich viele oder sogar noch mehr natürliche Ressourcen auf der Erde als heute, aber viel weniger Menschen. Unsere Höhlen bewohnenden Vorfahren hätten demnach sehr reiche Menschen sein müssen. Warum das nicht stimmt, wird der Vortrag mit einfachen ökonomischen Konzepten zu erläutern versuchen. Dabei wird sich zeigen, dass nicht Erdöl, Gebäude oder Finanzkapital die entscheidende Quelle des Wohlstands sind, sondern das Wissen darüber, wie man Rohstoffe zu werthaltigen Produkten kombiniert.

11. September
Franz Schultheis, Soziologe
Das Kapital der Ehre: Zum Verhältnis von materiellen und symbolischen Gütern
Ist Geld Mittel oder Zweck? Sind materielle Güter Weg oder Ziel? In traditionellen bzw. vormodernen Gesellschaften findet man vielfältige Belege für die Vorrangigkeit und Höherwertigkeit symbolischer Güter wie Ehre, Prestige, Reputation und soziale Anerkennung. In kapitalistischen Gegenwartsgesellschaften zeichnet sich hingegen das Bild eines von materialistischen und utilitaristischen Motiven getriebenen Homo Oeconomicus ab, dem die Maximierung ökonomischer Profite primärer, wenn nicht ausschliesslicher Daseinsgrund geworden zu sein scheint. Der Vortrag hinterfragt dieses Bild und macht auf die bleibende enorme Bedeutung symbolischen Kapitals in unserer spätkapitalistischen Kultur aufmerksam.


12. September
Christoph Weber-Berg, Theologe
Credo und Kredit: Über das religiöse Potential des Kapitalismus
In einem Fragment bestimmte der Philosoph Walter Benjamin 1921 den Kapitalismus als «essentiell religiöse Erscheinung». Er entspreche menschlichen Bedürfnissen, die ehedem von der Religion befriedigt worden waren, und er stelle einen permanent sich vollziehenden Kult dar, der im Gegensatz zur traditionellen Religion nicht auf Erlösung, sondern auf Verschuldung ausgerichtet sei. Credo und Kredit, Erlös und Erlösung, Schuldner und Gläubiger – gibt es mehr als nur verbale Assoziationen zwischen Kapital und Religion?

13. September
Sophie-Thérèse Krempl, Soziologin
Paradoxien des Kapitalismus oder: Ist Arbeit Kunst?
«Künstler - was die tun, kann man nicht arbeiten nennen.» (Gustave Flaubert)
Seit einigen Jahren sind in der Arbeitswelt Veränderungen zu beobachten: Die Formen von Arbeit sollen vielfältiger werden, ihre Ergebnisse aber genauso zuverlässig bleiben; Arbeit soll Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bieten, aber möglichst effizient organisiert sein; Arbeit soll flexibel gestaltbar, aber klar von der Privatsphäre zu trennen sein. Kurz: Arbeit soll nicht mehr allein Zweck, sondern vor allem Sinn sein. Dabei ist die Sphäre der Zweckfreiheit doch eigentlich der Kunst vorbehalten! War das schon immer so? Anhand philosophischer Arbeitsbegriffe umreisst der Vortrag verschiedene Aspekte von Arbeit und vergleicht sie mit neuen Formen, die als Zukunftsmodelle von Arbeitsorganisation gelten.

* Graduate School of the Arts (Doktoratsprogramm der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern)
** Institute of Advanced Study in the Humanities and the Social Sciences  

Dauer: Jeweils 18–19.30 Uhr
Eintritt: frei