Donnerstag, 13. September

Donnerstag, 13. September
16:00 Uhr
Ausstellung/Installation
Nur Abendkasse – Nach Oben
Das Kapital: Erschöpfte Zerstörer
Partizipative Installation
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Aus der Serie «Trümmerfrauen» A4 von 2011, Bleistift auf Papier, Diego Castro

2003 wurde beschlossen, den Palast der Republik, das symbolträchtige und – wie sich herausstellte – asbestverseuchte Gebäude aus DDR-Zeiten, abzureissen und zugleich das 1950 gesprengte Berliner Stadtschloss, welches über Jahrhunderte hinweg zu einem Symbol der preussischen Macht- und Militärpolitik geworden war, wieder aufzubauen. Dieser Beschluss provozierte in Berlin eine lange Reihe von Bürgerprotesten und eine langjährige Debatte, in der Sinn und Symbolik sowohl des Abrisses als auch des Wiederaufbaus diskutiert wurden. Ausgehend davon entwirft Diego Castro ein Werk, das diesen Streit in spielerischer Form sichtbar und die historische und ökonomische Dimension des Konflikts deutlich macht. Die partizipative Installation ist vorerst eine Reproduktion des abgerissenen Berliner Palastes der Republik aus LEGO-Steinen. Die Besucher der Ausstellung dürfen am Rückbau des LEGO-Palasts teilhaben und werden dazu angehalten, das alte Berliner Stadtschloss – ebenfalls mit LEGO – wieder aufzubauen oder sich für etwas anderes zu entscheiden, während ein Börsenticker steigende und fallende Aktienkurse projiziert. Castros Arbeit bezieht sich zum einen auf eine historische Zirkularität von ideologisch aufgeladener Landmark-Architektur. Zum anderen wird die Affäre um den Palast der Republik vor Castros Zeichnungen von Trümmerfrauen sowie Zitaten des Ökonomen Joseph Schumpeter (1883-1950) über «Schöpferische Zerstörung» zur Allegorie für verschärfte Kämpfe um städtische Territorien. Das Kapital: Erschöpfte Zerstörer fragt nach den Gewinnern und Verlierern einer neoliberalen Raumverwertungsideologie, bei der durch Stadterneuerung Immobilienpreise in die Höhe getrieben, neue Finanzblasen kreiert und Menschen an die Randzonen der Gesellschaft vertrieben werden.

Diego Castro ist bildender Künstler und lebt in Berlin. Er hat in Deutschland, Frankreich und der Schweiz Kunst und Kunsttheorie studiert. Seine Arbeiten waren seit 1997 in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit ‒ hauptsächlich Zeichnung, Installation und Film ‒ mit politischen, sozialen und institutionskritischen Themen.

Veranstaltet durch: Forschungsschwerpunkt Intermedialität der Hochschule der Künste Bern HKB und Biennale Bern in Zusammenarbeit mit Theaterladen / Schlachthaus Theater

Öffnungszeiten: 9. bis 16. September, jeweils 16–20 Uhr

Eintritt: frei

Künstlergespräch mit Diego Castro: 14. September, 18.30 Uhr

Weitere Aufführungen: Sonntag, 9. September, Montag, 10. September, Dienstag, 11. September, Mittwoch, 12. September, Freitag, 14. September, Samstag, 15. September, Sonntag, 16. September

Donnerstag, 13. September
18:00 Uhr
Vortrag/Gespräch/Führung
Nur Abendkasse – Nach Oben
«Ja, der Mensch muss Kapitalist sein.»
Vortrag mit Sophie-Thérèse Krempl, Soziologin

Eine Vortragsreihe der Biennale Bern in Kooperation mit der Hochschule der Künste* sowie der Universität Bern**: Der «Mensch muss Kapitalist sein» - es war der amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882), der derart entschieden aufforderte, Kapitalist zu sein. Und er war nicht der Erste und nicht der Einzige, der den Kapitalismus in einem nicht materiellen Sinne verstand. Emerson ging es um die geistige Entfaltung des Menschen, um die Entwicklung seines inneren Reichtums.

Kapital ist, nicht erst seit Karl Marx, ein schillernder Begriff. Die Vortragsreihe zur Biennale Bern greift, ausgehend vom Kapitalbegriff bei Marx, einige der nicht monetären Kapitalarten wie Wissenskapital, symbolisches Kapital oder Abstammungskapital auf und beleuchtet sie in sechs Kurzvorträgen. Den halbstündigen Referaten folgt jeweils ein vertiefendes Gespräch sowie eine Publikumsdiskussion.

13. September

Sophie-Thérèse Krempl, Soziologin
Paradoxien des Kapitalismus oder: Ist Arbeit Kunst?
«Künstler - was die tun, kann man nicht arbeiten nennen.» (Gustave Flaubert)
Seit einigen Jahren sind in der Arbeitswelt Veränderungen zu beobachten: Die Formen von Arbeit sollen vielfältiger werden, ihre Ergebnisse aber genauso zuverlässig bleiben; Arbeit soll Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung bieten, aber möglichst effizient organisiert sein; Arbeit soll flexibel gestaltbar, aber klar von der Privatsphäre zu trennen sein. Kurz: Arbeit soll nicht mehr allein Zweck, sondern vor allem Sinn sein. Dabei ist die Sphäre der Zweckfreiheit doch eigentlich der Kunst vorbehalten! War das schon immer so? Anhand philosophischer Arbeitsbegriffe umreisst der Vortrag verschiedene Aspekte von Arbeit und vergleicht sie mit neuen Formen, die als Zukunftsmodelle von Arbeitsorganisation gelten.

* Graduate School of the Arts (Doktoratsprogramm der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern)

** Institute of Advanced Study in the Humanities and the Social Sciences

Dauer: 90 Minuten

Eintritt: frei


Donnerstag, 13. September
Ausstellung/Installation
Nur Abendkasse – Nach Oben
Kopf oder Zahl I
Ausstellung in der Stadtgalerie im PROGR, videokunst @progr.ch, Kunstmuseum Bern @ PROGR
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Oliver Ressler / Zanny Begg, The Bull Laid Bear, 2012, DVD, Farbe, Ton, 24 Min. (Videostill: zVg)

Nicht erst die Finanzkrise hat die künstlerische Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Politik, Macht und Kapital ausgelöst, jedoch hat sie den Diskurs über die Hintergründe des ökonomischen Systems intensiviert. Seither häufen sich Ausstellungen, die  nach der Bedeutung des Kapitals fragen, der Verbindung von Geld und Macht oder der Auswirkung des freien Marktes. Die während der Biennale Bern gezeigten Werke decken zum Teil überraschende Zusammenhänge auf, die zur heutigen wirtschaftlichen Situation führten. Sie analysieren Hintergründe, visualisieren komplizierte Sachverhalte auf schlichte Art und enthüllen damit die Geschichte des Kapitals.

videokunst @progr.ch
Oliver Ressler (*1970) und Zanny Begg (*1972) legen in ihrem Film The Bull Laid Bear die ökonomische Rezession (bear market) offen, die sich hinter Phasen anhaltender Kursgewinne (bull market) verbirgt. US-ÖkonomInnen und AktivistInnen erklären, wie es der Regierung in den Vereinigten Staaten oder in Irland gelang, eine Bankenkrise in eine Haushaltskrise zu transformieren. In handgezeichneten Animationen wird die Wirtschaftselite zwar vor Gericht gestellt, die korrupten Richter sprechen sie jedoch frei. Der Film ist auch im Videofenster @Bienzgut.ch, Bibliothek Bümpliz, Bernstrasse 77, 3018 Bern täglich von 10:00 – 24:00 Uhr zu sehen.


Stadtgalerie
Zachary Formwalt (*1979) beschäftigt sich mit den langfristigen, meistens unsichtbaren Mechanismen und Folgen des Kapitalismus. Er betrachtet dabei die aktuellsten Entwicklungen in der Weltwirtschaft, registriert ihre Auswirkungen auf den Feldern der Technik und der Kultur und verbindet seine Beobachtungen mit Lektüren von Karl Marx oder von Klassikern der Fotogeschichte. Im Film Unsupported Transit kombiniert er zeitgeraffte Aufnahmen des Baus der neuen Börse in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen mit Aussagen von Friedrich Engels im Vorwort zu Karl Marx‘ Kapital. Engels wies auf einen Wandel hin: Geld werde nicht mehr durch Arbeit, sondern neu durch Geld generiert, womit der Kapitalismus an Sichtbarkeit und Erfahrbarkeit verliere. Diese These unterstützt der Künstler durch die Anwendung des Zeitraffers, der zur Folge hat, dass die Bauarbeiter der Börse unsichtbar werden. Für die Biennale Bern realisieren Gareth Kennedy (*1979) und Sarah Browne (*1981) einen Film, in dem sie den kapitalistischen Mythos des genialen Unternehmers im Stile eines Steve Jobs (Apple) oder Bill Gates (Microsoft) untersuchen. Geschichten über begnadete Entrepreneurs, die mit ihren Visionen eine Kultur zu verändern vermögen, sind wesentlich für den Erfolg des kapitalistischen Systems. Dies zeigt der Film The Myth of the Many in the One auf.

Kunstmuseum Bern @ PROGR
Maria Eichhorn (*1962) beschäftigt sich in ihrem Werk mit dem Betriebssystem Kunst. Sie analysiert dessen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und baulichen Rahmen. Statt eine Ausstellung für die Kunsthalle Bern zu konzipieren, verwendete die Künstlerin 2001 das gesamte Ausstellungsbudget dazu, das Gebäude der Kunsthalle zu sanieren, ihre Finanzierungsgeschichte aufzubereiten und eine unlimitierte Edition von Anteilscheinen an der Institution zur Erhöhung des Eigenkapitals herauszugeben. Mit «Das Geld der Kunsthalle Bern» wird eine Zusammenfassung des Projekts gezeigt, in der die Kataloge sowie die Anteilscheine begleitet von einem sachlichen Werbefilm ausgestellt werden. Maria Eichhorns vielschichtige Arbeit ist dem Ideal der kollektiven Kreativität verpflichtet und wehrt sich gegen die Auffassung der Institution als Musentempel für Privilegierte. Stattdessen wird ihr Kapital in Anlehnung an Pierre Bourdieu in wirtschaftliche, kulturelle, symbolische und soziale Aspekte aufgefächert.

Die Ausstellung dauert bis zum 29. September 2012.

 

Veranstaltet durch: Stadtgalerie, Kunstmuseum Bern, videokunst.ch und Biennale Bern

Öffnungszeiten Stadtgalerie / Kunstmuseum Bern @ PROGR / videokunst @progr.ch: Mi bis Fr, 14–18 Uhr; Sa, 12–16 Uhr

Eintritt: frei


Donnerstag, 13. September
19:30 Uhr
Musik-Installation/Performance
Nur Abendkasse – Nach Oben
CARRILLO_N13¿
Eine transgradiale Musik-Installation
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Modell Installation CARRILLO_N13 (Foto: Emanuel Schulze)

«Der Sonido 13 ist der Anfang und das Ende und der Ausgangspunkt einer neuen musikalischen Generation, die alles verändern wird, denn es wird kein einziges der heutigen Instrumente übrig bleiben: Sie sind alle unfähig, die überwältigende Masse an Tönen zu erzeugen, die man künftig verwendet.» (Julián Carrillo)

Das Projekt CARRILLO_N13¿ folgt dem theoretischen Manifest des mexikanischen Komponisten Julián Carrillo (1857-1965). In seiner Teoría del Sonido 13 (Theorie des dreizehnten Tons) entwickelte er das System der Dehnung und Stauchung von Kompositionen, das er nicht nur auf die eigenen, sondern alle Werke der Musikgeschichte anwenden wollte. Das Manifest beinhaltet eine doppelte Stossrichtung: Carrillo will nicht nur eine neue Form der Musik entwerfen, sondern er strebt auch die Einverleibung der europäischen klassischen Musik an. Carrillo übernimmt das Denken der europäischen conquistadores und ruft zur musikalisch-territorialen Gegenkolonialisierung Europas auf.

CARRILLO_N13¿ ist zugleich Klanggenerator, Mutterschiff und Steuerzentrale, um Carrillos Aufruf zu dieser Eroberung in die Tat umzusetzen. Während 13 x 13 Stunden werden Musik, Klänge, Menschen und Informationen zum Brennstoff, der den Generator CARRILLO_N13¿ zu immer gewaltigeren Leistungen antreibt. Jeder Zuschauer befeuert allein durch seine Anwesenheit den Motor der Installation. Alle 13 Stunden bricht mit der Eroberung eines neuen Raumes ein neuer Wachstumszyklus an.

Regie / Konzept: Till Wyler von Ballmoos

Komposition: Michel Roth

Rauminstallation / Ausstattung: Emanuel Schulze

Musikalische Leitung: Samuel Stoll

Raumklanggestaltung: Kaspar König

Dramaturgische Mitarbeit: Diana Rojas

Technik: Sebastian Geret

Produktionsleitung: Felix Heri

Performer: Benedikt Bindewald, Aleksander Gabrys, Kaspar König , Ingo Ospelt, Samuel Stoll, Till Wyler von Ballmoos

Veranstaltet durch: Biennale Bern in Zusammenarbeit mit PROGR

Treffpunkt: PROGR, Westflügel, Eingang Speichergasse 4

Dauer: Musik-Installation durchgehend - während 169 Stunden - zugänglich.

Start Musikgenerator 8. September, 16.30 Uhr / Ende Musikgenerator 15. September 17.30 Uhr.

Konzertante Führungen täglich zu festen Zeiten, ca. 60 Min.

Anmeldung: Besuchen Sie die Musik-Installation, wann immer Sie wollen! Gegensprechanlage beim Eingang, Codewort: Dreizehn.

Sprache: Deutsch / Carrillisch / Spanisch

Eintritt Konzertante Führungen: 25.-/20.-

Besuch der Musik-Installation ausserhalb der Führungszeiten: Bezahlen Sie mit Esswaren und / oder Getränken Ihrer Wahl.

 

Mehr Carillo: bei Facebook und bei Twitter

Weitere Aufführungen: Samstag, 8. September, Sonntag, 9. September, Samstag, 15. September, Montag, 10. September, Dienstag, 11. September, Mittwoch, 12. September, Freitag, 14. September

Donnerstag, 13. September
20:00 Uhr
Musik-Installation/Performance
Nur Abendkasse – Nach Oben
[ R e s t R i s i k o ]
 
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Kabelloser Gesten-Sensor (Prototyp), Leo Hofmann 201 (Foto: zVg)

«Restrisiko: Technik, Künstler, Leben? Rest Risiko ist auch Ausdruck, ein anderer Name des Unerklärlichen. Das Unerklärliche erkennen wir schon immer auch als Teil unseres Seins (und Sinns?). Während die unbekannte, unberechenbare Bedrohung (Restrisiko) eines Atomunfalls grösste Lebensangst auslöst, wird in der Kunst das noch nicht Gekannte, Geahnte, aber intuitiv Vermutete geradezu vom Künstler gefordert. RestRisiko – in der Kunst der Freiraum des Irrationalen. Restrisiko = Freiheit. Der Kunst ist gerade dieses Restrisiko Schlüsselmoment zu ihrem Potential: Unvorhersehbarkeit, Unwiederholbarkeit, Unabgeschlossenheit, Unerklärlichkeit. Die Kunst, der Künstler = RestRisiko: Idee ist Währung, Freiheit ihr Vermögen.»

(Johannes S. Sistermanns)

Am Anfang des Projektes stand eine Auseinandersetzung mit Joseph Beuys’ Kapital, jener berühmten Installation mit einem Konzertflügel als Zentrum und Symbol, einem Flügel, der nie gespielt werden darf, also nur Wert ohne Sinn ist. In einem langen Prozess hat Johannes S. Sistermanns eine performative Installation für das Berner Münster gestaltet, in der das Restrisiko des Konzertflügels, seine Resonanz zum Schwingen und vor allem Verklingen gebracht wird.

Das Instrumentarium besteht aus Licht, Video, WaVer, drei Orgeln des Münsters (Schwalbennest-Orgel, Forschungsorgel und Orgel auf der Kirchenempore), den Opferstöcken, einem raumfremden Konzertflügel, Stimme, Zinkeimer und live-Elektronik. Zugespielte elektroakustische Klänge werden mittels WaVer (Klangwandler) direkt auf den Holzresonanzboden und die Saiten des Konzertflügels übertragen. Sensoren zur Steuerung von Klang im Raum gehen in performatives Agieren über. Und, es wird während der Aufführung einen einzigartigen «Banktausch» der sitzenden Besucher geben. Perspektivwechsel im Hören und Sehen.

Im Klanglichen vernimmt man Häufungen, Ausdünnungen, den «Einen Ton», verschiedene mikrotonale Einstimmungen gleicher Intervalle, das Spielen der Luft (bei der Forschungsorgel), Live-Elektronik und die im Raum verebbende Musik. Im [V]erklingen führt der Raum sich selber auf.

Die beteiligten Künstler sind Medienkünstler, Organisten, Performer, die teilweise in der Kleidung Sensoren tragen, die es ihnen ermöglichen, durch Gesten und Bewegungen Einfluss auf das musikalische Geschehen zu nehmen. Das Bild ist ein digitalisierter Horizont sowie die vieladrige Erdoberfläche beim Überfliegen zwischen Euphrat und Tigris, dem Land, «wo Milch und Honig fließen». Heute ist es geografisch fast identisch mit dem Staatsgebiet des Iraks, einem Restrisiko der tragischen Art.

Orgeln: Daniel Glaus, Yeon-Jeong Jeong, Samuel Cosandey

Medienkünstler / Performer: Leo Hofmann

Medienkünstler: Martin Traber

Video: Gudrun Kemsa

Klavier / Stimme / Video: Johannes S. Sistermanns

Komposition / Realisation: Johannes S. Sistermanns

Veranstaltet durch: Forschungsschwerpunkt Intermedialität der Hochschule der Künste Bern HKB und Biennale Bern

 

Dauer: 60 Minuten

Eintritt: 25.-/20.-

Weitere Aufführungen: Mittwoch, 12. September

Donnerstag, 13. September
20:00 Uhr
Theater/Performance
Nur Abendkasse – Nach Oben
Karl Marx: Das Kapital, Erster Band
Von Helgard Haug und Daniel Wetzel | Rimini Protokoll
Schlachthaus Theater Bern
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Szene aus Karl Marx: Das Kapital, Erster Band (Foto: Sebastian Hoppe)

Die grosse Analyse von Karl Marx hat einen prominenten Platz in der Reihe jener Bücher, die alle kennen und doch nur wenige richtig gelesen haben. Für Haug / Wetzel ist es ein dramatischer Text, dessen sieben Siegel nur mit Hilfe von acht Menschen geöffnet werden können, die mit, in und für dieses Werk gelebt haben. Das Ergebnis ist weder ein Abgesang noch graue Theorie auf der Bühne. Bei diesem Buch geht es  nicht darum, wie die Regie es liest, sondern wer es überhaupt gelesen hat; nicht so sehr darum, was darin steckt, sondern wo in der Gesellschaft es steckt, wer es benutzt und kennt, welcher politischer Couleur und wirtschaftlicher Praxis auch immer. Karl Marx: Das Kapital, Erster Band führt die Fäden eines weitschweifenden Castings zusammen, bei dem Menschen aus unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Gegenden mit ihren Biografien abweichende Perspektiven auf dieses zu dicke Buch beitragen und vertreten.

Helgard Haug (*1969), Stefan Kaegi (*1972) und Daniel Wetzel (*1969) haben am Giessener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft studiert und arbeiten in unterschiedlichen Konstellationen unter dem Label Rimini Protokoll. Als Pioniere des Dokumentartheaters sind sie weltweit bekannt für ihre Theaterstücke, Performances und Hörspiele in der bunten Zone zwischen Realität und Fiktion, die nicht Laien, sondern Experten des Alltags ins Zentrum stellen. Karl Marx: Das Kapital, Erster Band wurde 2006 in Düsseldorf uraufgeführt, mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet und erhielt in Seoul und Tokio Auszeichnungen für herausragende Gastspiele.

Koproduziert von: Düsseldorfer Schauspielhaus mit Schauspielhaus Zürich, schauspielfrankfurt und Hebbel am Ufer Berlin. Aufführungsrechte: Hartmann & Stauffacher Verlag.

Konzept & Inszenierung: Helgard Haug, Daniel Wetzel

Bühne: Helgard Haug, Daniel Wetzel in Zusammenarbeit mit Daniel T. Schulz

Mit: Christian Spremberg (Call Center Agent), Thomas Kuczynski (Statistiker und Wirtschaftshistoriker, Editor), Talivaldis Margevics (Historiker und Filmemacher, Riga), Franziska Zwerg (Übersetzerin), Jochen Noth (Unternehmensberater, Dozent Schwerpunkt China und Asien), Ulf Mailänder (Autor und Coach in der Rolle von Jürgen Harksen, Anlageberater), Sascha Warnecke (Revolutionär und Student)

Veranstaltet durch: Schlachthaus Theater und Biennale Bern

Sprache: Deutsch

Dauer: ca. 120 Minuten, keine Pause

Eintritt: 35.-/25.-

Weitere Aufführungen: Freitag, 14. September

Donnerstag, 13. September
22:00 Uhr
Discours
Nur Abendkasse – Nach Oben
Festivalzentrum: Bar Geld
Discours mit Pedro Lenz und Mathias Binswanger

Die Bar Geld ist – wie Bargeld – mobil: Am ersten Abend findet sie in der Dampfzentrale statt, später dann im Foyer des Stadttheater Bern. Das Festivalzentrum der Biennale Bern 2012 wird einerseits Bar und Verpflegungsort sein, wo Besucher und Künstlerinnen ihr Kapital gegen Ess- und Trink-Waren tauschen können, und anderseits ein Ort des Feilschens über wahre Werte und des Diskurses.

An neun Abenden werden Finanzspezialistinnen, Geldhaie und Wirtschaftsdetektive im Gespräch dem Kapital nachjagen: Was ist das für ein Gespenst, das in Europa umgeht? Gibt es zu viele Milliardäre, zu wenig Kapital ‒ oder beides? Wie kann man einem Künstler den Finanzplatz erklären? Oder wie spekuliert ein Spekulant über die Kunst? Ist Popmusik nur Pop, wenn sie Geld macht, oder auch, wenn sie nur über das Geldmachen spricht? Journalistinnen, Politiker, Musiker, Marxisten und Soziologinnen werden sich im Bar-Gespräch über das Kapital unterhalten.

13. September

Pedro Lenz und Mathias Binswanger

Erneut empfängt Pedro Lenz einen Gast: Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er hat unter anderem das äusserst spannende Buch über Sinnlose Wettbewerbe – Warum wir immer mehr Unsinn produzieren geschrieben, und wird mit Lenz über Sinn und Unsinn des Kapitalismus und den Wettbewerb in den Künsten diskutieren.

 

Türöffnung 21.30 Uhr

Dauer: ca. 60 Minuten

Eintritt: frei


Donnerstag, 13. September
Ausstellung/Installation
Nur Abendkasse – Nach Oben
53 Fahnen für Bern
Installation
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Silke Wagner, 53 Fahnen für Bern, 2012

Die Biennale Bern lud Silke Wagner (*1968) als artist in residence nach Bern ein. Die in Frankfurt lebende bildende Künstlerin konzipiert für das Festival eine Beflaggung im öffentlichen Raum. In Linien und geometrischen Formen übersetzt sie Zahlen und Statistiken zur Verteilung des Kapitals, zum Welthandel und zu den damit verbundenen Fragen der Migration und Umweltbelastung. Durch die gestalterische Anlehnung an überlieferte Heraldik irritiert die Präsenz dieser Fahnen in der Altstadt von Bern. Sie wirft Fragen nach Sinn und Zweck einer Beflaggung auf, die keiner lokalen Tradition entspricht. Die Motive bleiben auf den ersten Blick rätselhaft, ihre Hintergründe werden jedoch auf Postkarten erläutert.

Konzept / Umsetzung: Silke Wagner

Veranstaltet durch: Biennale Bern

Dauer: 6. bis 16. September, durchgehend

Eintritt: frei


Donnerstag, 13. September
Ausstellung/Installation
Nur Abendkasse – Nach Oben
Kopf oder Zahl II
Filme von Christian Jankowski im Zentrum Paul Klee
Zentrum Paul Klee
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Christian Jankowski, Telemistica, 1999, DVD, Farbe, Ton, 22 Min. (Videostill: zVg)

Nicht erst die Finanzkrise hat die künstlerische Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Politik, Macht und Kapital ausgelöst, jedoch hat sie den Diskurs über die Hintergründe des ökonomischen Systems intensiviert. Seither häufen sich Ausstellungen, die  nach der Bedeutung des Kapitals fragen, der Verbindung von Geld und Macht oder der Auswirkung des freien Marktes. Die während der Biennale Bern gezeigten Werke decken zum Teil überraschende Zusammenhänge auf, die zur heutigen wirtschaftlichen Situation führten. Sie analysieren Hintergründe, visualisieren komplizierte Sachverhalte auf schlichte Art und enthüllen damit die Geschichte des Kapitals.

Christian Jankowski (*1968) hinterfragt in seinen Arbeiten immer wieder die Mechanismen des Kunstmarktes. Für die 48. Biennale in Venedig rief er fünf italienische TV-Wahrsager an, um sich von ihnen die Erfolgschancen seines Werkes prophezeien zu lassen. Telemistica kann als Kommentar zu den oft an Wahrsagerei grenzenden Aussagen zur Entwicklung im Kunstmarkt bzw. der Wirtschaft allgemein interpretiert werden. In Strip the Auctioneer bietet ein Auktionator von Christie’s (fast) alles zur Versteigerung an, was er am Leibe trägt: Taschentuch, Krawatte, Jackett, Schuhe, Socken, Hemd und schliesslich den Auktionshammer. Für Tausende von Euro ersteht das zahlungswillige Publikum eine abgetragene Garderobe, die durch die Auktion augenblicklich eine vielfache Wertsteigerung erfährt. Die Aktion stellt das Verhältnis zwischen dem wirtschaftlichen und dem ideellen Wert von Kunst zur Disposition. Für die Kunstmesse Art Cologne entwickelte Jankowski 2008 ein Teleshoppingformat. In Kunstmarkt TV sucht ein Moderator seinen Markt für Werke von Franz West oder Jeff Koons ‒ ein triviales Format und etablierte Kunst prallen aufeinander.

Die Filme werden zwischen dem 6.9. und 16.9.2012 in der Ausstellung «Höhere Wesen – Sigmar Polke und Paul Klee» gezeigt.

Veranstaltet durch: Zentrum Paul Klee

Öffnungszeiten Zentrum Paul Klee: Di bis So, 10–17 Uhr

Eintritt: 20.-/18.-/10.-